Sonntag, 9. August 2015

Johannes Keplers Stationen in Regensburg

Zum Kepler-Jahr 1971
Johannes Keplers Stationen in Regensburg
Von A. Reger

Johannes Kepler wurde am 27. Dezember 1571 in Weil der Stadt (der ehemaligen württembergischen Reichsstadt Weil) geboren, er starb am 15. November 1630 in Regensburg. Er „diente" unter den Kaisern Rudolph II., Matthias und Ferdinand II. so wie unter Herzog Albrecht von Wallenstein drei Jahrzehnte hindurch als Hof-Astronom. Graz, Prag, Linz, Ulm und Sagan waren die Städte seines Lehrens und Forschens. Dienstliche, aber auch persönliche Gründe führten ihn mehrmals nach Regensburg, sein letzter Aufenthalt in der Reichsstadt wurde zur Endstation seines Lebens.
Johannes Kepler
Johannes Kepler
Im Jahre 1613

In Keplers Leben steht dem „Reichtum" an Arbeit die Armut durch die Vorenthaltung des Lohnes für seine Arbeit gegenüber. Seine erste Station in Regensburg im Jahre 1613 vermag dieses existentielle Spannungsverhältnis auf sehr drastische Weise zu exemplifizieren. Kepler war im Auftrag des Kaisers Matthias nach Regensburg gekommen, um den hier versammelten Reichsständen als „Sachkundiger" die  Gründe für eine Annahme des Gregorianischen Kalenders darzulegen, denn noch immer waren die evang. Stände nicht geneigt, die päpstliche Reform des Kalenders anzuerkennen. Keplers „astronomischen" Argumenten gegen den veralteten Julianischen Kalender blieb jedoch die Zustimmung versagt, erst im Jahre 1700, also 70 Jahre nach seinem Tod entschloß man sich, auch in Regensburg den Gregorianischen Kalender einzuführen - bis zu diesem Zeitpunkt wurde der Monatstag nach der reformierten Zeitrechnung jeweils mit der Datumsangabe in Klammern ausgedrückt, z.B. 30. April (10. Mai) 1613. Neben diesem „wissenschaftlichen" Auftritt vor der Ständeversammlungstand aber auch Keplers Auftritt „in eigener Sache". Im Verlauf von 13 Jahren in den Diensten der Kaiser Rudolph und Matthias hatten seine Gehaltsrückstände bereits die runde Summe von 12 000 Gulden erreicht . Um begreiflich zu machen, daß es sich hierbei um „relative" Forderungen handelt, muß erwähnt werden, daß sich Kepler bei der Übernahme des Amtes eines Hof-Astronomen in Prag im Jahre 1601 angesichts der mißlichen Lage der kaiserlichen Kasse mit der Hälfte des Gehaltes seines Vorgängers Tycho Brahe, nämlich mit einer jährlichen Besoldung von 1 500 Gulden begnügen mußte. Als Kepler seine Gehaltsforderung auf dem Reichstag zur Sprache brachte, fand er wohl die Unterstützung der evang. Stände, aber als er Regensburg wieder verließ, hatte er lediglich eine kaiserliche „Schuld-Urkunde" in Händen.

In den Jahren 1620/ 21

In Keplers Leben sind vor allem die Jahre zwischen 1610 und 1620 mit Schicksalsschlägen ganz persönlicher Art angefüllt. Im Jahre 1611 entriß ihm der Tod seine Frau und Mutter von drei Kindern, bald darauf starb sein erster Sohn. Ein Jahr später siedelte er von Prag nach Linz über und ging eine zweite Ehe ein. Die Sorge um seine Familie wurde auch hier nicht geringer, denn die obersteierischen Landstände kamen ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nach. Noch bitterer aber war das Leid, das die ausbrechenden religiösen Unruhen über ihn und seine Familie brachten. Im Jahre 1620 schließlich sah er sich genötigt, in seine württembergische Heimat zu reisen, um dort seiner Mutter beizustehen, die man der Hexerei beschuldigte. Er wollte die Seinigen nicht allein zurücklassen und verschaffte ihnen in Regensburg im Hause des Bürgers Christ. Ränze in der Baumhackergasse ein Asyl (seit seiner Grazer Zeit war er mit diesem befreundet). Kepler hielt sich nach seiner Rückkehr aus Württemberg, wo er den Freispruch seiner Mutter erwirkte, über drei Monate in Regensburg auf, bevor er wieder nach Linz zurückkehrte. Vermerkenswert ist ein Eintrag in das Protokollbuch der Magistrats der Stadt, nach dem Kepler im Jahre 1620 für ein Manuskript zu seinem Werk „Harmonices mundi " sechs Gulden erhalten hat.

In den Jahren 1626/28

Kaiser Ferdinand II. hatte Kepler die Genehmigung zur Veröffentlichung des sog. „Rudolphinischen Tafeln" erteilt, in denen er den Sonnen- und Mondstand, die Zeiten ihrer Verfinsterungen und die Abstände der Planeten aufgrund jahrelanger Forschungsarbeiten niedergelegt hatte. Mit Hilfe der Unterstützung einiger Reichsstädte sollte dieses Werk in Ulm in Druck gelegt werden. Wiederum waren es die religiösen Verhältnisse, die Kepler veranlaßten, auch seine Familie  mitzunehmen. Vermutlich waren es die Kriegsereignisse, wohl aber auch der bevorstehende Winter, die es ihm ratsam erscheinen ließen, die Seinigen in Regensburg im Hause des Gewandschneiders Haller in der ehemaligen Donaustraße unterzubringen. Nach seiner Rückkehr aus Ulm im Jahre 1627 entschloß er sich, seine Lehrtätigkeit in Linz nicht mehr fortzusetzen, er wandte sich an den Kaiser in Prag und trat nunmehr in die Dienste Wallensteins in dessen neu erworbenem Fürstentum in Sagan. Im Jahre 1628 reiste er wiederum nach Regensburg, um seine Familie dorthin umzusiedeln. Wallenstein hielt sich jedoch nicht an das kaiserliche Dekret, die ausstehenden Gehaltsrückstände zu  begleichen. Kepler schlug auch sein Angebot einer Professur in Rostock aus, um seine Ansprüche auf 12 000 Gulden nicht zu verlieren.

Im Jahre 1630

Die Nachricht von Wallensteins Absetzung auf dem Reichstag in Regensburg im September 1630 nahm Kepler mit großer Bestürzung auf. In seiner Sorge um den Verlust seiner Gehaltsforderungen machte er sich auf den Weg nach Regensburg, traf hier am 30. Oktober ein und mietete sich im Hause des Handelsmanns Billy in der Donaustraße ein. Den Strapazen der langen Reise zu Pferd und den Unbilden der Herbstwitterung war jedoch der 58jährige Kepler nicht mehr gewachsen, ein heftiges Fieber hinderte ihn, seine Forderungen auf der Ständeversammlung vorzubringen, der Kaiser reiste bereits am 3. Dezember wieder ab. Sein Zustand verschlechterte sich, er wurde zur Ader gelassen, aber seine körperlichen Kräfte schwanden immer mehr, er starb „deutend auf seinen Kopf und dann wieder auf den Himmel" am 15. November. Zwei Tage darauf wurde er auf dem Friedhof von St. Peter vor den Mauern der Stadt zu Grabe getragen.

„Beysitzer allhier", Seiner Kaiserlichen Majestät Diener - so schrieb der Superintendent Donauer von St. Oswald in seine Totenmatrikel. Niemand kennt die Stelle, an der der „Beysitzer" Kepler, d. h . der lnwohner ohne Bürgerrecht, sein Grab gefunden hat, aber auch der Ort, wo seine Frau, die 1631 nach Regensburg übersiedelte und 1636 verstarb, bestattet wurde, ist unbekannt. Vermutlich ist der Grabstein bei den Schanzarbeiten der kaiserlichen Truppen im Jahre 1632 oder beim Beschuß durch schwedische Batterien im Jahre 1633 zerstört worden. Überliefert sind jedoch in einer pfarramtlichen „Aufzeichnung" die Grabinschrift, die sich Kepler einst gewünscht hatte, und die Worte, die seine verschiedenen Lebensstationen sowie seine Verdienste um die Astronomie zum Ausdruck bringen (eine sichere Quelle, daß diese Worte tatsächlich auch auf seinem Grabstein angebracht worden sind, gibt es nicht). Kepler hatte sich folgende  "wortspielerische" Grabinschrift gewählt: „Mensus eram coelos, nunc terrae metior umbras; mens coelestis erat, corporis umbra jacet" - in freier Übersetzung: Einst hatte ich die lichten Weiten des Himmels gemessen, nun messe ich die Dunkelheit der Erde; der Geist war ein „himmlischer" (gottgegebener), hier ruht des Leibes „Schatten" (seine sterbliche Hülle).
Die amtliche lnventarisierung ergab, daß Kepler außer einigen Schmuckgegenständen nur eine geringe Barschaft bei sich trug (sein Pferd hatte er für zwei Gulden verkauft), aus seinen „Papieren" geht hervor, daß sich seine Gehaltsforderung laut kaiserlicher „Schuld-Urkunde" auf 12 694 Gulden belief.

Keplers letzte Reise nach Regensburg kann als ein Weg um die materielle Anerkennung seiner Lehr- und Forschungstätigkeit gekennzeichnet werden. Zeit seines Lebens ist ihm die gerechte Würdigung seiner wissenschaftlichen Arbeit  nicht zuteil geworden. Es sollten aber auch mehr als 150 Jahre vergehen, bis Kepler in der Stadt, in der er zu Grabe getragen worden war, zur Würdigung seiner Verdienste um die Naturwissenschaften gelangte. „Stationen" dieser Ehrungen Keplers in Regensburg sind erst seit 1800 zu verzeichnen.

Im Jahre 1786 unternahm der Rektor des reichsstädtischen Gymnasiums Johann Phil. Ostertag den ersten Schritt zu einer Kepler-Ehrung. Er trat in einer seiner Schriften mit dem Appell zur Errichtung eines Kepler-Denkmals an die Öffentlichkeit. Der Fürst Primas Carl von Dalberg verwirklichte diese Idee Ostertags zwanzig Jahre später am 27. Dezember 1808, dem Geburtstag des Vollenders des Kopernikanischen Weltsystems. In den Carl Anselm-Anlagen ließ er einen Kenotaph gleichsam als Ersatz für das unbekannte Grabdenkmal Keplers errichten. In einem Rundtempel mit acht dorischen Säulen, dessen Metopen mit den Zeichen des Tierkreises verziert wurden, enthüllte er in einem feierlichen Akt die Büste des Entdeckers der Gesetze der Sternenwelt. Das Sockelrelief zeigt Urania, die Göttin der Astronomie, die Kepler zum Zeichen des Dankes, daß er den Schleier von ihrem Gesicht gehoben hat, ein Fernrohr überreicht.

Im gleichen Jahre, in dem die Walhalla eingeweiht wurde, erhielt auch Kepler seinen Platz in der Ruhmeshalle Ludwigs 1. An seinem Sterbehaus in der ehemaligen Donaustraße, das Christ. G. Gumpelzhaimer ausfindig gemacht hatte, ließ der „Historische Verein der Oberpfalz und von Regensburg" eine Gedenktafel errichten, desgleichen an jenem Haus in unmittelbarer Nähe, in dem Kepler in den Jahren zwischen 1626 und 1628 vorübergehend gewohnt hatte. Wenige Jahre später wurde die Donaustraße zu seinen Ehren in „Keplerstraße" umbenannt. Der Wiederkehr des 300. Geburtstages Keplers wurde in einer Festveranstaltung des eben genannten „Historischen Vereins" gedacht. Der 300 . Todestag des „Verkünders der Wunder der Sternenwelt" wurde am 24 ./25. September 1930 in großen Festakten an seinem Denkmal, im Neuhaus-Saal und  in der Walhalla begangen. Zur Würdigung der Verdienste Keplers um die Fortentwicklungder Naturwissenschaft hat sich das Polytechnikum Regensburg seinen Namen zugelegt. Eine würdige und gleichsam beständige Ehrung hat Kepler in der Errichtungeines "Kepler-Museums" in seinem Sterbehaus gefunden.
Zur Begehung des 400. Geburtstages Keplers im Jahre 1971 hat Regensburg, teilweise in Verbindung mit anderen Kepler-Städten, viele wissenschaftliche und kulturelle Veranstaltungen im Rahmen eines „Kepler-Jahres" geplant. In ihnen manifestiert sich das Bewußtsein der Stadt, daß der Besitz des Grabes eines der „Prinzipes Astronomiae" ein Vermächtnis für kommende Generationen ist.

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