Dienstag, 5. Mai 2015

Untergegange Orte - Kirchenödenhart

Kirchenödenhart
Von Antonie v. Tänzl
(1954)
Der Tod des im Februar 1954 heimgegangenen letzten Sprossen eines angesehenen Regensburger Patriziergeschlechtes, Dr. Felix Freiherr v. Thon-Dittmer veranlaßt mich, von dem abgelegenen und Untergegangenem  Kirchenödenhart zu erzählen. Ende des 17. Jahrhunderts besaß nämlich der damalige Bürgermeister von Regensburg, Freih. v. Thon-Dittmer, nicht nur das schöne Patrizierhaus am Haidplatz  (heute noch Thon-Dittmerhaus genannt), sondern auch die Herrschaft Kirchenödenhart im Kreis Burglengenfeld. Der verstorbene Baron sagte einmal 1938 zu mir: „Schade, daß mein Großvater damals Kirchenödenhart verkaufte, heute bekäme ich ein schönes Stück Geld dafür vom Staat." 1938 und 39 wurde nämlich das ganze Dorf Kirchenödenhart abgelöst und in den Truppenübungsplatz Hohenfels einverleibt.
Ansicht der Hofmark von Georg Hämmerl, Ende des 18. Jahrhunderts
Ansicht der Hofmark von Georg Hämmerl. Ende des 18. Jahrhunderts.
Wenn man am Nordrand unserer früheren Waldung Büglberg stand, (heute auch Trupp.-Ub.-Platz), sah man über den dunklen Wäldern des einstigen Gaishofes ein Wiesental und daneben in einer Senke eingebettet das Dörfchen Kirchenödenhart. Mit seiner romanischen Kirche, dem hochgiebeligen Schloß und den sich darum reihenden, kleinen, breiten Häusern, machte es wohl einen malerischen aber ärmlichen Eindruck. Reich ist der Ort nie gewesen und in seinem Namen Ödenhart lag wohl ein Körnchen Wahrheit. Wenn auch damals eine holperige Straße von Schmidmühlen und Emhof aus dem Vilstal hinauf führte, so hatten die Bewohner in dieser Einöde, weit ab vom Verkehr, kein leichtes Leben. Die Not blickte oft genug durch die niederen Fensterscheiben. In regenarmen Sommern mußte das Wasser bis aus dem Vilstal auf Ochsenkarren für das Vieh herauf geholt werden. Bis zum Jahre 1904 gingen die Kinder den 1 Stunde weiten, schlechten Weg zur Schule nach Dietldorf. Im Winter, bei  knietiefem Schnee oder im Frühjahr zur Zeit der Schneeschmelze war der Schulbesuch für die Kinder unmöglich. Denn im Wiesental, das sich von Kirchenödenhart bis Rohrbach am Rand der Wälder hinzieht, hatte sich das Schneewasser zu einem reißenden Bach vereinigt, der das Dorf völlig abschloß.

Im 18. Band des·Hist. Vereins der Oberpfalz liest man, daß sich 1788 laut Amtsbeschreibung in Kirchenödenhart (Kirchenettenhart) ein Schloß, eine Schloßkapelle (Filiale der Pfarrei  Dietldorf ) 26 Untertanen und 2 Einöden befanden. Schon im 11. und 12. Jahrhundert saßen hier die Ettenharter, Ministerialen der Grafen v. Hohenburg. Aus dieser Zeit stammt der romanische Kirchturm. Nach dem Aussterben der Grafen von Hohenburg waren unter anderen auch die Wißbeck zu Velburg Besitzer. Jörg Hektor v. Wißbeck erbaute 1565 das Schloß, einen stattlichen, dreigeschossigen Bau, der in einer belebteren Gegend mit seinen 2 Giebeln und 4 Ecktürmen ein hübsches Kunstdenkmal seiner Zeit dargestellt hätte. Aber das Schloß, das sich seit 1821 in bäuerlichen Händen befand, kam gegen Ende dieses Jahrhunderts immer mehr herunter und machte schon in meiner Jugend einen verwahrlosten Eindruck, während es auf einer Tuschezeichnung des Malers Hämmerl von Kallmünz (im Schloß Dietldorf) mit seiner uralten Linde vornehm dasteht. Die Linde sah ich noch 1950.
Schloss Kirchenoedenhardt

Aus der Zeit der Wißbeck dürfte auch der 60 m tiefe Schloßbrunnen stammen, aus dem man mittels einer Kettenwinde das Wasser in einem eisernen Eimer mühsam heraufschöpfte. Uns Kinder hat dieser Brunnen immer besonders angezogen. Schon das Hinabschauen bis zum Grund des Wassers bereitete ein angenehmes Gruseln, und wenn man ein Steinchen hinunterwarf, dauerte es lange, bis es im Wasser aufklatschte.

Die Pertolzhofen, ein bekanntes, oberpfälzisches Hammerherrengeschlecht besaß fast 100 Jahre Kirchenödenhart und zu gleicher Zeit den Hammer in Traidendorf.

So heißt es auf einer Gedenkplatte  mit dem Wappen derer von Pertolzhofen:

"Hatt Hans Joachim  v. Pertoltzhofen zu Traidendorf, Khirchenettenhart und Perkam dises Gottshaus anno 1591 Widerumb von Neuem erbaut, anno 1543 alles zu grundt ist abgebrunnen Und das wortt Gottes 48 jar lang darinen nit hat Chlungen".
Kirchlein von Kirchenödenhart
Kirche von Kirchenödenhart
Beachtenswert war weiter ein Renaissancealtärchen aus weißem Kalkstein mit  einem guten Relief der Verklärung Christi in der Mitte; darunter die Stifter H. J. v. Pertolzhofen und seine Frau Anna aus dem Hammerwerksgeschlecht der Sauerzapf mit ihren Wappen.
Reneissancealtärchen in der Kirche
Die Sauerzapf saßen 300 Jahre auf dem Hammer von Rohrbach. Mit zwei Töchtern, wovon eine noch mit ihrem Mann, Hs. Friedr. v. Kreuth (Kreith) kurze Zeit Kirchenödenhart behielt, starben die Pertolzhofen aus. Später scheinen einige Schwestern v. Rummel an Kirchenödenhart Gefallen gefunden zu haben: so 1792  die Witwe Anna Hildegard v. Fachbach geb. v. Rummel. Auch die Frau des Bürgermeisters Thon-Dittmer, eine Rummel, und zuletzt  Elisabeth v. Rummel, die nach Erzählung meines Großvaters auf dem Ochsenwagen  nach Dietldorf zur Kirche fuhr und in ihrer ländlichen Einsamkeit am Sonntag mit den Bauern im Wirtshaus Tarock spielte. Elisabeth v. Rummel wurde 1821 vor der Kirche in Dietldorf begraben. Nach ihr kam Kirchenödenhart in bäuerlichen Besitz.

Nach dem zweiten Weltkrieg belebte sich der einstige Wehrmachts–Truppenübungsplatz Hohenfels wieder. Heimatlose, Sudetendeutsche, Rumänen und Litauer nahmen von den zerfallenen Dörfern und Einöden Besitz, bauten sich dort wieder auf und pachteten die landwirtschaftlichen Grundstücke. In diesen Siedlern erwachte auch der Wunsch, eine Kirche und einen Geistlichen zur Ausübung des Gottesdienstes zu erhalten. H. H. Kammerer und Pfarrer Franz Xaver Schmid von Dietldorf baute mit Hilfe des Ordinariates Regensburg die teilweise zerstörte Kirche von Kirchenödenhart mit, großen Opfern wieder auf . Am 23. Juli 1950 erfolgte die Einweihung des wieder erstellten Kirchleins. Ein katholischer und ein protestantischer Geistlicher wurden mit der Ausübung der Seelsorge betreut. Leider mußte im Herbst 1952 der einstige Truppenübungsplatz und damit das wiedererstandene Kirchenödenhart erneut für das Militär, diesmal, für die amerikanischen Truppen geräumt werden.

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