Samstag, 30. April 2016

Auf der Marterwiese zu Tode gemartert

Vom traurigen Ende eines Pfaffenreuther Bauern
Von  Alfred  Frank

Selbst im letzten Abschnitt eines dreißig Jahre währenden Krieges kamen die Menschen des Sechsämterlandes und der Oberpfalz nicht zur ersehnten Ruhe. Wieder und wieder zogen Soldatenhaufen durch die Gegend, forderten Unterkunft und Verpflegung und nahmen sich schließlich ungefragt das Gewünschte, wenn sich ihnen die Tore der Städte und Märkte nicht sogleich öffneten. Eine langjährige Erfahrung im Umgang mit den mehr und mehr nur noch von Raub und Plünderungen lebenden Landsknechten hatte aber auch Bürger und Bauern gehärtet, und oft wurde der Gewalt mit Gewalt begegnet, falls die fremde Obermacht nicht zu groß erschien.

In den ersten Monaten des Jahres 1645 hielten sich wiederum kaiserliche Abteilungen im Egerland und in der Oberpfalz auf. Zehn Reiter lagen nun bereits wochenlang im Markte Redwitz, mußten verpflegt und dazu noch mit Geld versehen werden, wenngleich sie beauftragt gewesen sein mochten, den Ort gegen weitere Einquartierung und Gewaltanwendung zu schützen. Doch wußten die kaum erfreuten Bürger nur zu gut, wie fragwürdig ein solcher aufgezwungener Schutz stets war. Nun näherten sich am 14. Mai etwa 140 Reiter dem Markte, nachdem sie drei Tage lang zu Arzberg, Seußen und  Korberdorf gelegen hatten. Sie begehrten zwar nicht, im Markte selbst unterzukommen, weil ihnen dies von seiten ihres in der Stadt Eger liegenden Befehlshabers untersagt worden war, aber sie verlangten dafür, im nahen Pfaffenreuth untergebracht zu werden.



Bürgermeister und Rat des Marktes gaben nach längeren Beratungen erst dann hierzu die Erlaubnis, als die Soldaten erklärt hatten, daß sie nachtsüber "auf der Peint stehen bleiben wollten". Die Reiter konnten sich also zu Pfaffenreuth einlegen, es sollten jeder aber nur Bier und Brot, den Pferden bloßes Gras und kein Getreide verabreicht werden. Lediglich für den "Kapitainleutnant, der sie führte, sollte etwas (Verpflegung) in die Küche kommen". Einer der Berittenen, wohl ein besonders unternehmungsfreudiger Geselle, hatte sich hernach aber vom Haufen abgesondert und "ist bei dem Tor hinterblieben". Die Verbindung mit den zehn schon länger zu Redwitz liegenden Reitern war schnell hergestellt, sie kamen zu ihm vor das Badtor hinaus, brachten reichliche Mengen an Bier mit, womit sie ein Gelage hielten, daß sie bald alle toll und "vollgesoffen" waren. Endlich verlangte der sich immer wilder gebärdende Landsknecht, ebenfalls in den Markt eingelassen zu werden, doch da der kommandierende Kapitänleutnant Strenge Order gegeben hatte, keinem seiner Leute das Marktstor zu offnen, wies ihn auch der Redwitzer Richter Sebastian Schmidt schroff und unmißverständlich ab. Dies machte freilich böses Blut, die Redwitzer Schutzgarde stellte sich auf die Seite ihres Saufkumpans und forderte dessen Einlassung. Einer drang mit blankem Säbel auf den Richter ein, und ein zweiter richtete sogar das scharfgeladene Gewehr auf diesen. Der Tumult lockte eine große Anzahl Bürger herbei und keineswegs aus bloßer Neugierde, sie wollten vielmehr ihren sehr geschätzten Richter schützen und gingen mutig gegen die Soldaten vor. Das mußte freilich die Lage nur noch verschlimmern, das Getümmel wurde größer und größer, und die elf Reiter, "die alle blind voll waren", spannten nun sämtlich ihre "Corbiner und Röhr" und zogen die "Hannen" über, daß die Sache "bald gefährlich ausgeschlagen" wäre. Schließlich gelang es den verbitterten und recht mutigen Bürgern aber doch, wenn auch "mit großer Gefahr", zwei der Reiter zu entwaffnen und in den Markt hereinzuziehen, den üblen Störenfried aber hinauszudrängen und das Tor hinter ihm abzuschließen.

Allerdings vermochte niemand zu ahnen, daß dieser wilde Geselle, der sich nun endlich auf den Weg zu seiner Truppe nach Pfaffenreuth begab, in dieser Nacht noch ein völlig unschuldiges Menschenleben vernichten würde. Unterwegs traf der seiner Sinne nicht mehr mächtige Reiter bei der "Marterwiese" zwischen Pfaffenreuth und Dörflas den Bauern Jakob Schmiedel von Pfaffenreuth, der nach Redwitz unterwegs war, für seine ihm aufgenötigten Gäste Bier zu besorgen. Er fiel ihn sogleich mit barschen, unflätigen Worten an, befahl ihm niederzuknien und vor seinem Tode noch rasch ein Vaterunser zu beten, da sein letztes Stündchen gekommen sei. Er hob auch bereits das Rohr und legte auf den zum Tode erschrockenen Mann an. Es versagte aber die Waffe,oder der Reiter verstand in seiner Trunkenheit nicht mehr damit umzugehen, und da zudem der Bauer Schmiedel der Aufforderung, niederzuknien, nicht folgte, vielleicht sogar eine drohende Haltung gegen den Landsknecht einnahm, schlug dieser in sinnloser Wut mit seinem Gewehr und hernach noch mit der Pistole immerzu auf den armen Mann ein. Ja, er stieß ihn zuletzt noch mit dem Gewehrkolben heftig und richtete den Bedauernswerten derartig zu, daß dieser schwerverletzt zu Boden stürzte. Dies reichte aber dem Wüstling noch keineswegs; mit dem Pferde sprengte er zuletzt noch "vielmals" über seinem Opfer hin und her, bis dieses endlich "mit dem Hufeisen erbärmlich zertreten" war. Jetzt erst war des kaiserlichen Reiters Mordgier gestillt, und ohne sich nach dern Schwerverletzten umzusehen, setzte er seinen Ritt nach Pfaffenreuth fort.


Keine Menschenseele weit und breit, nur eine unheimliche Stille lastete über der einsam gelegenen Wiese. Langsam kam der Bauer wieder zu sich. Trotz der schweren Wunden und starken Schmerzen gelang es ihm, sich aufzurichten. Mit letzter Kraft schleppte es sich nach Dörflas, wo er zusammenbrach. Der herbeigerufene Bader verband die zahllosen Wunden und stillte, so gut es ging, das Blut. Gerne erfüllte er des Sterbenden Bitte, "sein arm Weib und Kind" herbeizurufen. Die nächsten schweren Stunden verbrachte er in sichtlichem Todeskampf " und ist dann gegen den anbrechenden Tag, eben am Heiligen Himmelfahrtstag, ohne allen Zweifel selig verschieden und mit Christo zu Himmel gefahren, nachdem er vorhero uff der Marterwiesen genugsam abgemartert worden" war. So steht in der Hauschronik des Bürgermeisters Georg Leopold vorn Markte Redwitz zu lesen.

Noch während Bauer Schmiedel mit dem Tode rang, meldete Marktsrichter Sebastian Schmidt das grauenvolle Verbrechen dem Kapitanleutnant nach Pfaffenreuth und ließ ihn bitten, "daß er über den Täter Justiz wolle ergehen lassen, damit die Rache, um welche das unschuldige Blut rufet, ihn selbst nit ergreife". Der zweifellos ehrenwerte kaiserliche Offizier vernahm die Meldung mit sichtlicher Bewegung und erbot sich, nach dem Mörder forschen zu !assen, da er zunächst nicht aufzufinden war. Auch versicherte er dem Richter, sobald er ihn erlangt haben würde, ihn, den übrigen zum Abscheu, abzustrafen. Tatsächlich schickte er bereits nach Mitternacht einen Reiter in den Markt mit der Nachricht, daß "er den Täter ertappet" habe. Man möge ihm mitteilen, ob diesen der Marktsrichter selbst haben" und sein Recht (an ihm) tun lassen wolle oder ob er, der Kapitänleutnant, ihn nach Eger vor das Kriegsgericht stellen und liefern solle". Bis zum kommenden Morgen erwarte er die Erklärung. In aller Frühe stand der Offizier" mit den Völkern", d. i. seinen Reitern, bereits wieder vor dem Redwitzer Badtor und ließ auch  "den Täter mit sich gebunden führen".
Richter und Abgeordnete des Rats  wurden gerufen, damit man verhandeln konnte. Schließlich einigte man sich dahin, daß der Mörder nach Eger gebracht werden und man dort "das Standrecht über ihn ergehen lassen" sollte. Der Kapitänleutnant versprach dieses "teuer" und erklärte  sich auch bereit, dafür zu sorgen, daß des Gefangenen "Geld, Pferd und Kleidung dem armen Weib und Kind ohne Falsch redlich zugestellt" würden.

Ganz bestimmt hatte es der Reiteroffizier ehrlich gemeint und auch alles in seinen Kräften stehende getan, die verbrecherische Tat gerecht zu sühnen. Aber das Kriegsgericht in Eger und womöglich auch die höheren Befehlshaber der Abteilung scheinen nur geringen Ernst in dieser Sache gezeigt zu haben; denn wie wir durch die Feder Georg Leopolds erfahren, blieb nicht allein der Mörder am Leben, auch die Angehörigen des erschlagenen Jakob Schmiedel gingen völlig leer aus, und "ist also in allem nichts erfolgt".

Der Wagen, der von Redwitz aus nach Eger geschickt worden war, die versprochenen Gegenstände - Pferd, Kleidung und Geld des Täters - abzuholen, kehrte wieder leer zurück. Die zehn Reiter aber, die der Redwitzer Bürgerschaft so viel Ungelegenheit bereitet hatten und die an dem Verbrechen doch zumindest indirekt schuld waren, sollten auch fernerhin Bürgermeister und Rat ziemliche Sorgen bereiten. Zwar wurden sie noch am Himmelfahrtstag (15. Mai) durch ihren Vorgesetzten, Oberstleutnant Franz Schneider, nach Eger zurückbeordert, doch sollte zuvor ein jeder 16 gute Taler, zusammen 160 Stück, aus der Marktskasse empfangen. Man wehrte sich energisch gegen diese Zumutung, ging dann auf 120 Taler herunter, aber als selbst diese Summe nicht flüssig zu machen war, sollten sich die Reiter, die ja eigentlich eine Schutzgarde bildeten, mit rund 28 Gulden begnügen. Da verlangten sie zusätzlich soviel Vieh, daß zuletzt der geforderte Betrag von 160 Talern gedeckt wäre. Dies versuchten aber die Marktsväter dadurch zu verhindern, daß sie zwei Bürger mit nach Eger schickten, um dort weitere Verhandlungen zu pflegen. Am 16. Mai verließen die zehn Reiter den Markt. Freilich erfüllten sich die auf eine Herabsetzung der Geldforderungen gesetzten Erwartungen in Eger nicht. Man wollte sich auf keinen Nachlaß verstehen, so daß die beiden Redwitzer Abgesandten nichts anderes tun konnten, als die restlichen 92 Gulden "bei einem Juden aufzunehmen".

Übrigens kehrte bald hernach die aus zehn Reitern bestehende Schutzgarde nach Redwitz zurück. Nur ließ man sie zunächst nicht durch das Untere Tor ein, da sie keine schriftliche Order vorzeigen konnte. Erst als man sich zu Eger vergewissert hatte, daß es damit seine Richtigkeit habe, mußte den Reitern das Tor geöffnet werden. Der ausgeschickte Eilbote brachte noch eine weitere unangenehme Andeutung mit, daß man von Eger aus ganz gerne noch weitere Soldaten zum Schutze des Marktes bereitstellen würde. Darauf verzichteten allerdings die Marktsväter mit höflichem, aber entschiedenem Dank, so daß es dann bei den ersten zehn Reitern verblieb.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen