Zur Martersäule vor Raitenbuch
Von Dr. Hans Ammon
Am 7. Oktober 1583 — lang, lang ists her! — war ein großer „Augenschein" im kleinen Kirchdorf Rackendorf bei Parsberg angesetzt, um gewisse Zehntsachen für das Kirchlein S. Moritz zwischen den einzelnen Herrschaften an Ort und Stelle zu erkunden und zu schlichten.
Bei diesem „ Augenschein" wurden elf Untertanen der verschiedenen Herren einvernommen, darunter auch der achtzigjährige Georg Kamerl (?).
Er gab zu Protokoll:
Sei nun bei achtzig Jahren und wohne in Dettenhofen unter der Velburger Herrschaft. Vor 55 Jahren (also 1528!) habe er zwei Jahre lang einen Zehnten im Bestand gehabt, weil er damals zu Rackendorf wohnte. Diesen Zehnten mußte er nach Willenhofen auf das geistliche Kastenhaus liefern. Georg Aichamer, der alte, sei damals Zehntprobst und Wirt in Willenhofen gewesen. Er selber wisse nun nicht mehr, wieviel sein Zehnt betragen habe. Doch sei ihm noch bewußt, daß der Zehnt nach dem Kirchlein S. Moritz gehörte und aufs Schloß Lupburg. Er sei in Raitenbuch geboren; dort habe eine Marter gestanden, und er habe noch von seinem Vater gehört, der erzählt habe: Wann eine Malefiz (böse Tat) sich begeben, seien zwei Boten (aus Raitenbuch), der eine auf 1 Stunde gen Velburg und der andere gen Hohenfels geschickt worden. Die Malefizperson wurde unterdes an die Säul (Marter) gebunden. Wer eher kommen (Herrschaft aus Velburg bzw. Hohenfels), hab sie (die Malefizperson) genommen . . . "
Der Bericht des alten Mannes ist aufschlußreich. Das vielumstrittene Grenzgebiet — zwischen Kurpfalz/Hohenfels und Parsberg/Lupburg, auch Velburg/Wißbeck und Jungpfalz — hatte dort diese eigentümliche Regelung getroffen, und man sieht die Narrenkappe und hört die Narrenschellen dran bei diesem Wettlauf um den Malefizer, wie man noch im alten Frankenland sagt. Die wohl schönste Martersäule aus dem Mittelalter in jener Juragegend steht noch heute fast am gleichen Ort und Kreuzweg, nur ein paar Schritte von der nun asphaltierten Straße entfernt, etwas erhöht in einer Wiese vor Raitenbuch — 1420 errichtet am Kreuzweg Hohenfels/Lupburg und Beratzhausen/ Velburg. Die alte beliebte Darstellung des Herrn am Kreuz mit Maria, seiner Mutter, und Johannes, seinem Lieblingsjünger, in Stein gemeißelt und mit gotischer Schrift! versehen, erfreut auch heute den Wanderer und Fahrer; denn es ist ein Kleinod unter seinesgleichen und man denkt ans alte Flandernlied: „Manch Kreuz am Wegesrande erglüht im Abendrot!"
Aber der berichtete Wettlauf der beiden Herrschaftsboten hat ja nur Humor – grimmigen Humor! — für die Boten und Herrschaften und gaffenden Leute, nicht für den Malefizer am Marterl dort! „Wer eher kommen, hat ihn genommen!" So berichtet der alte Mann, der seine acht Jahrzehnte ganz im tollen 16. Jahrhundert hat leben müssen. Ob er noch einen solchen Wettlauf miterlebt hat? Raitenbuch und die Mark seiner Herrschaft war ja nicht allzugroß, und Malefizer gabs wohl nicht gerade im Dutzend. Immerhin: man war im Wettlauf einig auch bei solcher bösen Sache! Freilich möchte man wissen, was der Mann am Kreuz — an der ersten Marter der Weltgeschichte und Christenheit — von solchem grimmigen Humor und Wettlauf zweier christlicher Herrschaften um die Aburteilung eines schuldigen Menschen — in seiner Erhöhung gedacht hat! War da nicht in einer bösen Weise seine eigene Passion unter Pontio Pilato, Hannas und Kaiphas und Herodes mitbetroffen und wiederholt?
Er war ja an der ersten Martersäul gewesen . . . man lese nur wieder seine Passion im Zusammenhang, und er hing zwischen zwei Malefizern seines Volkes bis zuletzt. Und was er seinen wütenden Anklägern aus dem Hohen Rat bezeugte mit dem Kreuzeswort: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!" galt das nicht auch hier beim grimmigen Wettlauf um Malefizer aus Raitenbuch und Umgebung?
Nun, auch dies ist vorbei, der Wettlauf um den Malefizer dort. Aber das Marterl steht standhaft, mahnend, beschwörend auch den Menschen von heute, am Kreuzweg dort im Juraland. Die Malefizer dort werden wie anderswo im Bayernland und Westdeutschland behandelt, ohne Eifersucht der Herrschaften, ohne grimmigen Wettlauf ums Vorrecht der Aburteilung! Auch das ist doch ein Fortschritt gegen früher. Und am meisten würde sich Raitenbuch und sein Umland und der Herr an der ersten Martersäule — nun erhöht über der grimmigen Menschenrede! — freuen, wenn die böse Malefiz überhaupt absterben und aussterben könnte in Herz und Hand der Menschen! Aber bis dahin laßt uns gemeinsam bitten und beten: „All Sünd hast Du getragen, sonst müßten wir verzagen! Erbarm Dich unser, o Jesu!"
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Quelle: Staatsarchiv Amberg, Neuburger Abgabe 1911, Nr. 12809.
Aus: "Die Oberpfalz", 1971
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