Nordgau und Oberpfalz
als Reichsländer und Territorialstaaten*
Von Professor Dr. Karl Bosl
Das
Thema meines Vortrages ,,Nordgau und Oberpfalz als Reichsländer und
Territorialstaaten", der den 21. Bayerischen Nordgau einleiten soll,
bringt mich etwas in Verlegenheit, wenigstens als Wissenschaftler. Ich
vermute nämlich, daß im Urnordgau, das heißt im Raum zwischen
Ingolstadt, Nürnberg und Regensburg noch niemals ein Nordgautag
stattgefunden hat; ich meine, daß dies ganz zu recht geschehen ist, weil
in dem bezeichneten Gebietsdreieck heute ein Nordgaubewußtsein nicht
mehr lebendig ist. Jedoch soll man der historischen Wahrheit =
Wirklichkeit willen nüchtern feststellen, daß der Raum, den man heute
als "Nordgau" bezeichnet und in dem die Nordgautage stattfinden, erst
später mit diesem Namen belegt wurde, deshalb auch nur sekundär alter
bayerischer Nordgau genannt wird. Selbstverständlich ist nicht zu
bestreiten, daß der Nordgau, so wie man ihn heute gemeinhin versteht,
der auch zumeist mit der heutigen Oberpfalz identifiziert wird,
altbayerisches und stammesbayerisches Land ist. Dafür zeugen eindeutig
Sprache und Siedlung. Aber das gilt nicht für die politisch-
herrschaftsgeschichtliche Entwicklung des Landes, das wir heute amtlich
Oberpfalz und auch Nordgau nennen. Ich stelle mit Freuden auf der
politisch-parlamentarischen Bühne Münchens fest, daß seit einem
Jahrzehnt sich das Oberpfälzische und die Oberpfälzer im Rahmen des
Bayerischen kraftvoller zu rühren und stärker zu artikulieren begonnen
haben. Diesem geweckten und autonomen politischen Selbstbewußtsein der
Oberpfälzer sollte und dürfte es nicht unangenehm sein, wenn ihm der
historische Forscher sagt und beweist, daß dieses Land vor 1268 mit
Ausnahme seines Südteiles nicht zum bayerischen Stammesherzogtum und
auch nicht zur frühen Landesherrschaft der Wittelsbacher gehört hat,
sondern daß es seine selbständige Geschichte im Rahmen des
Frankenreiches und des Deutschen Reiches bis zum Untergang der Staufer
hatte und daß es auch anschließend nur zwischen 1268 und 1329
territorial zum altbayerischen Landesstaat und dann von 1329 bis 1628/9
auf Grund des wittelsbachischen Hausvertrages von Pavia (1329) zur
Pfalzgrafschaft bei Rhein und dem Landesstaat der Rudolfinischen Linie
der Wittelsbacher gehörte.

Der alte Nordgau hatte und hat also
seine eigene Geschichte, er war weitgehend Reichsland und
Königsterritorium vor allem in Salier- und Stauferzeit bis 1268. Wenn
heute der österreichische Staat eine große Babenberger-Ausstellung im
niederösterreichischen Stift Lilienfeld eröffnet und damit das
tausendjährige Gedächtnis des Herrschaftsantrittes der fränkischen
Babenberger von Schweinfurt als Markgrafen der Ostmark 976 feierlich
begeht, dann konnten Oberpfalz und Nordgau fast gleichwertig dabei
mithalten und mitfeiern, weil ungefähr zur gleichen Zeit oder etwas
früher die gleichen fränkischen Babenberger von Schweinfurt von dem
Ottonenkaiser zu königlichen Kommissaren auf dem bayerischen Nordgau
bestellt wurden. Die löbliche Bayerntreue der Oberpfälzer hat
verhindert, daß sich ein stärkeres oberpfälzisches Geschichtsbewußtsein
entwickelt hat, denn würde es dies geben, dann würden die Oberpfälzer
vielleicht gar nicht verwundert feststellen, daß sie ebenfalls mit den
großen württembergischen Stauferfeiern unserer Tage mittun könnten, weil
die Oberpfalz seit Barbarossa und besonders seit dem Aussterben der
Grafen von Sulzbach ein Glied der großen staufischen Reichslandpolitik
zwischen Nürnberg, Eger und Altenburg in Sachsen gewesen ist. Das aber
war nicht zuletzt die historische Folge davon, daß der große
Salierkaiser Heinrich III. im Zuge der Konsolidierung der Ostgrenzen des
Reiches gegen Böhmen und Ungarn auf dem bayerischen Nordgau die
kleinteiligen und wohlorganisierten Königsmarken Cham und Nabburg
errichtete und damit für unser Land die erste sichere und belegbare
größere Herrschafts- und Verwaltungsorganisation schuf. An ihrer
reichischen Geschichte kann die Oberpfalz nicht mehr länger vorbeigehen,
sie macht den individuellen Sondercharakter dieses historischen Raumes
mindestens bis 1268, wenn nicht bis in das 17. Jahrhundert aus. Diese
Feststellung kann die Bajuwarizität der Oberpfalz gar nicht stören und
auch nicht die bekannte oberpfälzische Anhänglichkeit an den bayerischen
Stamm und den bayerischen Staat; denn diese ist fest in Sprache,
Volkstum, Siedlung und Kultur begründet. In einer Zeit, in der es um die
Erhaltung von Identität und Individualität geht, darf man dieses
oberpfälzische Sonderwesen und seine Eigenart nicht unbeachtet und
ungenutzt lassen. Aus diesem Grunde habe im mein Thema gewählt und lade
Sie ein, mit mir einen kurzen Blick in die historischen Grundlagen der
oberpfälzischen Art und Entwicklung zu tun, die einen besonderen Wert
und historische Individualität besitzen.
Eine umfassende
historische Analyse der oberpfälzischen Geschichte kann sich nicht
einseitig an der großen Herzogs-, Königs-, Kaiser- und Reichsstadt
Regensburg, diesem ehrwürdigen alten Zentrum von Herrschaft, Wirtschaft,
Geist, Kunst, Kultur orientieren, auch nicht am Stammland der Bayern,
sondern muß sich auch nach Westen und Südwesten orientieren und den
Anschluß an das Frankenreich herstellen, dessen Teilgebiet ja auch das
fürstliche Herzogtum der Agilolfinger des 6.– 8. Jahrhunderts war. Der
bayerische Urnordgau und seine beiden wichtigsten Königshöfe Ingolstadt
und Lauterhofen, die dieses Gebiet flankierten, begegnen zuerst in den
Händen des fränkischen Hausmeiers Karl Martell, gehen dann in
agilolfingische Hände über und werden bei der Absetzung Tassilos III.
788 von Kaiser Karl dem Großen wieder zurückgenommen. Die beiden
Königshöfe Ingolstadt und Lauterhofen im Lauterachtal müssen vor 740
Stützpfeiler einer fränkisch-karolingischen Auffangstellung und
Ausgangsposition zwischen Donau, Jura, Pegnitz, fränkischem Keuperwald
und Ries gewesen sein und auch so verstanden werden. Die beiden Höfe
liegen auf dem Nordgau, der ein Teil von Bayern war, das als fränkische
provincia bezeichnet wird. Dieser Name hat sich erst später mit
zunehmender Besiedlung und herrschaftlicher Organisation ostwärts
verlagert und wurde eigentlich erst im 11. Jahrhundert die Bezeichnung
für das Gebiet, das wir heute die zentrale Oberpfalz nennen. Für die
Grenzen des alten Urnordgaus sprechen die Tatsachen, daß 1. noch später
in den Quellen die salische Reichsburg und spätere Königsstadt Nürnberg
"auf dem Nordgau" liegt, daß 2. das weiter westlich situierte Fürth zwar
im fränkischen Radenzgau sich befindet, aber in Grenzlage zum
nordgauischen Raum um Nürnberg "Am bayerischen Nordgau" liegt 3. der
alte Königshof und die spätere Reichsstadt Weißenburg am Sand. Die
Hauptflußachse dieses Nordgaus war die Altmühl, seine Grenzflüsse aber
waren die Donau im Süden und die Lauterach im Nordosten.
Gerade
dieser Raum war 805 auch die Operationsbasis für die Böhmenfeldzüge
Karls, des Sohnes des großen Karl. Doch büßten die beiden villae
dominicales = Königshöfe Ingolstadt und Lauterhofen schnell ihre
Bedeutung und Funktion ein, als nach 817 unter dem später ostfränkischen
König Ludwig dem Deutschen, dem Sohne Kaiser Ludwig des Frommen, sich
die ostfränkische Herrschaft sehr intensiv auf Regensburg konzentrierte,
das unterdessen audi "sedes ac metropolis ducatus Bavariae" (Sitz und
Hauptstadt des Herzogtums Bayern) genannt wurde. Seit Anfängen aber war
Bayern ein ducatus = Grenzprovinz und eine provincia = Verwaltungsgebiet
des Frankenreiches gewesen; die Worte ducatus und provincia entstammen
dem Vokabular der römischen Reichsverwaltung, die die Franken für die
von ihnen besetzten früher römischen Provinzialgebiete übernahmen.
Bayern war eine Grenzprovinz und Provinz des Frankenreiches und war es
noch im 9. Jahrhundert ohne und mit Agilolfingern, die fränkischer
Abstammung waren, eine autonome, fürstengleiche Stellung im 8.
Jahrhundert einnahmen und damals Herzöge in Bayern und Alemannien
zugleich waren. Von Regensburg aus wurde seit der Besiegung der Awaren
die große ostfränkische Politik und Expansion gegen Böhmen, das
Großmährische Reich, gegen Pannonien = Ungarn und gegen Karantanien
betrieben.
Der Königs- und Reichsgutscharakter von Ingolstadt ist
belegt durch die Vergabe von Teilen des Gutes von Reichsklöstern, so an
Niederalteich, Niedermünster in Regensburg und auch das Reichskloster
Metten an der Donau. Nördlich anschließend bis zum Ries wurden das
bonifatianische Großkloster Fulda sowie das Adels- und Reichskloster
Lorsch an der Bergstraße mit reichem Besitz aus Königsgut ausgestattet.
In diesem Raum nördlich der Donau aber hatte das fränkische Bistum
Eichstätt die zentrale Position; seine Südgrenzen bildeten auch Donau
und Sandrach bei Ingolstadt. Hier ist die Feststellung wichtig, daß ein
breiter Streifen Landes nördlich der Donau vom Ries bis Passau und
hinein in das niederösterreichische Waldviertel mit seinen Forsten und
Wäldern Königsland war, das den Pfalzen, Königshöfen und Reichsklöstern
im Stromtal zugeordnet gewesen sein muß. Diese um Königspfalzen - auch
Ingolstadt hatte Pfalzcharakter - Königshöfe und Reichsklöster
aufgebaute Herrschafts- und Siedlungsorganisation um die Donau und
nördlich des Stroms ist durch den letzten Sachsenkaiser Heinrich II.
aufgelöst und in großen Teilen an sein neugegründetes Reichsbistum
Bamberg geschenkt worden. In der karolingischen Reichsordnung von 817
aber lesen wir, daß die Königshöfe Ingolstadt und Lauterhofen
Königsdienste zu leisten, also den reisenden Hof, seine Kommissare und
seine Heere zu verpflegen hatten.
Anfang des 11. Jahrhunderts
erscheint im gleichen westlichen Raum in den Quellen die
Nordgaugrafschaft des Berengar, die sich im 12. Jahrhundert zur
Grafschaft Hirschberg weiterentwickelte, ihr Rechtsnachfolger wurde im
14. Jahrhundert das kaiserliche Landgericht Hirschberg, das südwärts
wieder zur Donau reichte, das auch Ingolstadt einschloß, das im Westen
die alte Stammesgrenze zwischen Bayern und Schwaben erreichte, nördlich
das Burggrafenamt Nürnberg streifte und im Osten durch die Schwarze
Laber bis zu deren Mündung in die Donau begrenzt wurde. Offenbar hat
sich also der alte Urnordgau der fränkischen Zeit bis zum kaiserlichen
Landgericht Hirschberg in den gleichen Räumen kontinuierlich weiter
entwickelt; die Donau war ja auch die Südflanke des Urnordgaus und
dessen Südflanke wurde durch Ingolstadt gedeckt. Der Urnordgau war
vermutlich reichisch-königliches Land. Die Ostgrenze des Urnordgaus und
zugleich die Ostgrenze des Bistums Eichstätt bezeichnete der zweite
Reichsort Lauterhofen, der an einem uralten Weg aus dem Maingebiet·zum
Regen und zur Donau nach Regensburg lag. An dieser Straße lagen die
fränkischen Königshöfe Forchheim, Fürth, Hersbruck und Lauterhofen; sie
führte Lauterach- und Vilsabwarts zur Naab und nach Regensburg. Die
östliche Diözesangrenze von Eichstätt war eine politische und
strategische Linie. Ein Unterbezirk des Urnordgaus muß der pagus
Uuestermannomarcha oder Uuestermann = Westermanngau gewesen sein, in dem
die Orte Prünthal und Raitenbuch zwischen Lupburg und Hohenfels im
Bezirksamt Parsberg und Bergmatting zwischen Regensburg und Kelheim
lagen. Zur Zeit Karls des Großen hieß das von mir oben umschriebene
Gebiet zwischen Ingolstadt und Lauterhofen allein Nordgau, wahrend das
zur Regensburger Diözese gehörige Gebiet im Norden der Donau dagegen zum
Donaugau gerechnet wurde. Dieses vorgenannte Land aber hieß im
Kapitulare Karls des Großen von 806 "pars Baivariae quae dicitur
Northgow" und war mit dem Eichstätter Sprengel identisch.
Aus
einer Stelle der Vita Wynnebaldi aus der 2. Halfte des 8. Jahrhunderts
dürfen wir den Schluß ziehen, daß sowohl die südwestliche Oberpfalz bis
zur Linie Premberg, Schmidmühlen, Lauterhofen wie auch das Vilstal bis
in das Amberger Becken und das Naabtal bis Nabburg damals siedlungsmäßig
erschlossen waren. All das aber zwingt endlich zur Aufgabe der These
Michael Doeberls, die er erstmals in seiner Habilitationsschrift
vorgetragen hat, daß es nämlich eine Markgrafschaft auf dem bayerischen
Nordgau oder eine Böhmische Mark gegeben habe. Für ein solches Gebilde
gibt es keinen quellenmäßigen Beleg. Dazu gehört auch die Feststellung,
daß auf dem nördlichen Donauufer selbst in nächster Umgebung Regensburgs
im 8. und 9. Jahrhundert nur ganz wenige Orte bezeugt sind. Es sind
dies Premberg und Lauterhofen, Etterzhausen an der Naab, Beratzhausen an
der Laber, Pfraundorf, Prünthal, Raitenbuch und Degerndorf zwischen
Parsberg und Hohenfels, Kuntsdorf (= Königsdorf) bei Premberg,
Allersburg an der Lauterach und Berching an der Sulz. Wenn wir dazu mit
Hans Dachs die Ortsnamen als Leitfossile der Besiedlung dieses Landes
befragen, so stellen wir fest, daß Ortsnamen mit dem Grundwort -ing, die
dem 8. Jahrhundert zugehören, gehäuft nur im Chamer Becken auftreten,
zahlreicher auch im Altmühltal bis Eichstätt hinauf und in einigen
Seitentälern der Altmühl vereinzelt; dazu kommt noch eine geschlossene
Gruppe zwischen Amberg und Nabburg und Schwarzenfeld. Ausbau und
Kolonistensiedlungen und ihre Namen mit den Grundworten heim, hofen,
hausen, die auch dem 8./9. Jahrhundert angehören, schieben sich von
Regensburg die Donaunebenflüsse nordwärts hinauf bis zu einer Linie, die
von Hersbruck über Lauterhofen an das Regenknie bei Marienthal
verläuft; der ganze Osten der heutigen Oberpfalz ist fast völlig frei
davon. Das paßt auch zu der von Dachs festgelegten Linie Forchheim,
Nabburg, Furth i. W., bis zu der die Siedlungsbewegung des 8./9.
Jahrhunderts aus dem Süden verläuft. Schließlich fügt sich damit auch
die philologische Feststellung zusammen, daß auch die Namensform der
slavischen Namenbezeichnungen Perschen nahe Nabburg und Pfreimd in die
Zeit zwischen 700 und 750 weisen. Daß die Oberpfalz genauso wie Ober-
und Mittelfranken eine slawische Besiedlung hatte, deren erste Phase
nach der slawischen Westbewegung seit 600 einsetzte, deren zweite Epoche
durch die fränkische Staatskolonisation bewirkt wurde, ist zuletzt
durch die Forschungen von E. Schwarz geklärt worden.
Die früheste
Nachricht aus der südlichen Oberpfalz von heute stammt aus einer St.
Emmeramer Urkunde von 819, die berichtet, daß die dem Domkloster St.
Emmeram zu Regensburg unterstehende Zelle Chammünster gegenüber der
Mündung des Chambflusses in den Regen vom vorletzten Agilolfingerherzog
Otilo, also vor 748, mit reichem Grundbesitz ausgestattet worden sei.
Die Grenzen dieses Besitzes wurden unter seinem Nachfolger Tassilo III.
und wiederum 819 gegen wiederholte Übergriffe festgelegt. Das
Klosterland, seinem Wesen nach ein forestis = Forst, lag zwischen dem
Janabach und der Miltach. Wie die anderen beiden Klostergründungen
Tassilos zu lnnichen im Pustertal und zu Kremsmünster in Oberösterreich
hatte dieses Kloster am Chamb-Regen Zusammenfluß die Funktion einer
Herbergs- und Verpflegstation der wichtigen Straße von Regensburg über
den Further Paß nach Domaslice = Taus und Prag und ihrem Zusammentreffen
mit einer anderen wichtigen Straße von Straubing über Stadevanga =
Stallwang nach Cham. Im Chamer Becken haben wir auch ein dichtes Netz
von alten -ing-Orten, die sich entlang des Regenflusses bis Regensburg
fortsetzen, Zeichen eines guten Bodens und einer größeren Besiedlungs-
und Bevölkerungsdichte. An der selben Linie reiht sich aber auch Krongut
der fränkischen und deutschen Könige auf, das an das agilolfingische
Gut anknüpft. Wir haben hier später die Königshöfe Nittenau, Roding,
Cham. Das Reichsgut Nittenau wurde von Kaiser Heinrich II. 1007 an das
neugegründete Bistum Bamberg geschenkt. Aus diesem Besitz schenkte
Bischof Otto von Bamberg Güter an seine Klöster Prüfening (1109) und
Ensdorf. Hier breiteten sich die großen Reichsforsten Nittenau, Rechart
und Dürn aus, in denen die Bauern des Hochstifts rodeten. Roding trat
erstmals 844 als Königspfalz in Erscheinung. Kaiser Arnulf von Kärnten
gründete hier eine Pfalzkapelle mit Kollegialstift. Pertinenzen dieses
alten Reichsortes und vermutlich ebenso des Reichshofes Cham waren die
1003 genannten Orte Dicherling und Zenzing, Hotzing, Scharlau, Posing,
Au und Frieding mit dem Forst Eisenhart. Cham ist 976 als civitas und
1040 als castrum überliefert. Dieser Siedlung ist gleichzusetzen die
Reichsburg Camma über den Chambfluß, zu der die heute Altenstadt
genannte Siedlung und eine Georgskapelle auf dem Galgenberg gehörten. An
der Südseite des Chamer Beckens lag der Alte Markt (= Altenmarkt), der
1135 und 1137 so genannt wurde, die Siedlung an der Stelle der heutigen
Stadt Cham wurde 1210 erstmals als novum forum (= Neumarkt) im Gegensatz
zum Alten Markt bei dem heute noch so bezeichneten Ort genannt.
Zwischen Cham und Furth schenkte Kaiser Heinrich III. 1156 aus Reichsgut
Besitz in Döfering, Schlammering, Grasfilzing, Grabitz, Furth,
Kothmaissling, Degelberg, Großmannsdorf, Buchberg und Sichowa (abg. bei
Furth); auch in Ballersdorf, Habersdorf, Michelsdorf verfügte der König
über Besitz.
1n der Reichsteilung Karls des Großen von 806 wurde
der Urnordgau aus Bayern, wie es Tassilo besaß, ausgegliedert und mit
ihm die Reichshöfe Ingolstadt und Lauterhofen. Sein Sohn Pippin bekam
das tassilonische Bayern, sein Sohn Karl aber neben anderem den Nordgau,
der als "pars Baivariae" (Teil Bayerns) bezeichnet wurde. Zu Bayern
gehörte auch die südöstliche Oberpfalz um Cham und am Regen. Bayern aber
war selbst fränkische Provinz und seit 788 waren Urnordgau und Land am
Regen fränkisch-karolingisch bzw. später reichisch-deutsch. So war es in
der ersten Etappe südoberpfälzischer Geschichte bestellt und geworden.
Unter
den Ottonenkaisern hebt in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts die
zweite Phase an. Kaiser Otto I. mußte den widerspenstigen Luitpoldingern
und wohl auch dem Hause seines Bruders Heinrich ein Gegengewicht in den
fränkischen Grafen von Schweinfurt aus dem Hause der jüngeren
Babenberger entgegenstellen. Er vereinigte darum das nördliche
"Ostfranken" und den Nordgau als kommissarische Verwaltungsgebiete in
babenbergischen Händen. Vermutlich um 950 übertrug der König an den
Grafen Berthold die Grafschaften im Nordgau, wo er 945 im Dienste des
Herrschers bezeugt ist; 960 und 973 waren in seinen Händen auch die
ostfränkischen Grafschaften Volkfeld und Radenzgau; dazu kam noch die
praefectura über das Königsgut Bamberg. Berthold begegnet mit dem Titel
marchicomes, was ausdrückt, daß er mehrere Grafschaften vor der Grenze
in seiner Hand hatte. Daneben ist die Feststellung wichtig, daß
Bertholds Bruder Luitpold 976 die bayerische Ostmark im heutigen
Österreich entlang der Donau zwischen Enns und Wienerwald übertragen
erhielt und dazu auch noch die südöstliche Hälfte des Donaugaus (wohl
bis Deggendorf) bekam. Der nordwestliche Teil des Donaugaus von der
Kleinen Laber bis zum Regen aber kam an Graf Pabo, den Ahnherrn der
königlichen Burggrafen von Regensburg, die am Ende des 12. Jahrhunderts
ausstarben und im 12. Jahrhundert in die beiden Zweige der edelfreien
Herren von Riedenburg und der Landgrafen von Stefling im Regental sich
aufgegliedert hatten. Wenn wir nun sehen, in wieviele Grafschaften der
Gewaltbezirk Heinrichs von Schweinfurt, des Sohnes unseres Berthold,
nach seiner Erhebung gegen Kaiser Heinrich II. aufgeteilt wurde, müssen
wir sagen, daß der Titel Markgraf, den diese hier amtierenden
Babenberger hatten, eine bedeutsame Stellung vermuten läßt, die freilich
mit einer Markgrafschaft auf dem Nordgau nichts zu tun hatte, die nicht
belegbar ist. Im Gegenteil! Wir müssen annehmen, daß im 10. Jahrhundert
die ostfränkischen Grafschaften und der Urnordgau, das Land um die
mittlere Naab und vielleicht auch den Regen als großer königlicher
Gewaltbezirk in den Händen der Babenberger von Schweinfurt vereinigt
war.
Daraus erklärt sich dann auch am leichtesten, daß der zweite
Salierkaiser den östlichen und mittleren Teil dieses Gebietes entlang
der böhmischen Grenze als die Marken Cham und Nabburg organisiert hat,
die wir als Form der Grenzsicherung und Grenzorganisation, als
militärische Aufmarsch- und Etappenstellung zu verstehen haben. Solche
Gebilde haben wir auch an der Westgrenze des Reiches sowie in Hessen und
Sachsen. Zentrum solcher Marken (marcae) war eine Reichsburg. Funktion
und Folge dieser Markenbildung auf dem nun ostwärts gerückten Nordgau
war die herrschaftliche Organisation des ganzen Gebietes nördlich des
Regen und östlich der Naab. Daß Kaiser Heinrich III. in diesem Land
besondere Interessen hatte und es organisatorisch stärker gliedern
wollte, geht vor allem daraus hervor, daß nun gerade im Nordgau
Königsdienstmannen (servientes regis) mit Dienst- und Eigengut
erscheinen. Daß im zurecht im 10. Jahrhundert Oberpfalz und östliches
Franken als königliche Herrschaftseinheit ansehe, geht auch daraus
hervor, daß Heinrich III. neben Cham und Nabburg in der Nordostecke des
Gebietes die Reichsburg Nürnberg errichtete (zwischen 1040 und 1050) und
daß er gerade hier das Reichsgut in einer Ministerialenverwaltung
zusammenfassen wollte. Ich vermute also einen weitläufigen Plan des
Salierkaisers hinter all diesen Maßnahmen. Aus diesem Grunde wollte
dieser große Organisator das dem Bistum Bamberg 1007 und später in
verschwenderischer Fülle ausgetane Reichsgut wieder zurücknehmen –
besonders das Reichsgut auf dem Nordgau – und den Aufbau eines
Königslandes hier vorbereiten. So gesehen ist die Gründung der
Markgrafschaften Cham und Nabburg Tei! einer umfassenden Organisation
des Nordgaus und des in ihm liegenden Königsgutes. Am Westtor Böhmens
sollte ein Starkes Bollwerk entstehen. Das Land an Regen und Naab hatte
gerade darum eine zentrale Bedeutung, weil Egerland, Vogtland und das
Waldgebiet am Nordhang des Erzgebirges noch zu dünn besiedelt und zu
wenig herrschaftlich aufbereitet waren, um eine starke Basis für eine
Ostpolitik abzugeben. Der deutsche König war dazu gezwungen, weil die
Böhmen und Ungarn entlang ihrer Grenzen gegen Westen auch künstliche
Wehranlagen und ein Grenzschutzsystem mit ständiger
Verteidigungsbereitschaft errichtet und dort eine Grenzmiliz, wie in
unserem Falle die Choden, angesetzt hatten. Die Choden waren slavische
Wehrbauern an der Grenze, die auf erblichen Bauernhöfen angesetzt waren,
um eine ständige Überwachung an der Grenze sicherzustellen. Die erste
Spur dieser böhmischen Grenzmiliz begegnet 1004; 1040 und 1041 fand
Kaiser Heinrich III. das böhmische Landestor von Taus durch starke
Festungsanlagen im Grenzwald versperrt und durch Bogenschützen besetzt.
Von
der Mark Cham hören wir erstmals 1055 bei einer Schenkung Kaiser
Heinrich III. in der ,,marchia Champie". Diese Mark ist sicher identisch
mit dem pagus Champriche, der 1050 erwähnt wird; dort erhalt ein
Königsdienstmann Dienstlehen zu Eigen übertragen. "Champriche"
bezeichnet einen geschlossenen Königsgutsbezirk um die Reichsburg Cham.
Wir können seinen Umfang noch aus den Marchfutterorten des bayerischen
Herzogsurbars vom Anfang des 14. Jahrhunderts erschließen. Der Königs-
oder Reichsgutsbezirk Champriche war der Kern der Mark Kaiser Heinrich
III. In einer Urkunde von 1058 vergibt der unmündige Heinrich IV. vier
Königshufen bei Arnschwang an das Kloster Ebersberg mit dem
Rodungsrecht; ihre Lage wird so umschrieben: in marcha Kamba versus
Boemiam, que pertinet ad ducatum Bavvaricum, quam matri nostrae
concessimus = in der Mark Cham gegen Böhmen, die zum bayerischen
Herzogtum gehört, das wir unserer Mutter überlassen haben. Die
verfassungsrechtliche, nicht machtpolitische Zugehörigkeit zum
bayerischen Herzogtum ist unangetastet, aber das Herzogtum hat das
Königshaus inne. Das Gebiet um Cham hat sicher auch zum Gewaltbezirk des
Markgrafen von Schweinfurt aus babenbergischem Hause gehört. Doch gilt
die zur Grafschaft weiterentwickelte Mark Cham als Sondergebiet, das
eigentlich nicht zum Nordgau und zur späteren Oberpfalz gehörte, wie ihr
Pfandcharakter seit dem Hausvertrag von Pavia 1329 deutlich macht.
Grenzpunkte des Reichsgutsbezirkes Chamberich waren gegen Osten und
Südosten Weißenregen bei Kötzting, Furth im Wald und Döfering
(slavischer Ortsname) bei Waldmünchen. Kaiser Heinrich III. hat dieses
Kerngebiet der Mark mit einer Wehrorganisation neuen Stils ausgestattet,
deren Träger die Ministerialen und ihre Burgen waren; letztere treffen
wir in großer Zahl gerade um Cham. Die Ministerialität wurde zum Träger
der Verwaltung und Verteidigung dieses "Staatslandes" und das
entscheidende Werkzeug königlicher Kriegsführung. Das Dorf mit der
Dienstmannenburg wurde hier wie im niederösterreichischen Waldviertel
die Wehreinheit des neuen Systems. Zentrum des ganzen Befestigungs- und
Verwaltungssystems war die Reichsburg Cham.
An die Spitze dieser
Mark trat ein Markgraf, der auch der Kommandeur der Markministerialen
wurde. Dieses Amt kam recht bald in die Hände der edelfreien
schwäbischen Diepoldinger, deren Seitenzweig, den wir die Rapotonen
nennen, auf dem Erbwege diese Stellung übernahmen. Als erster comes de
Cambe (Graf von Cham) erscheint 1073 ein Rapoto, der treu zum Kaiser
stand; sein Bruder Diepold war offensichtlich mit der Mark Nabburg
belehnt. Als ihr Nachfolger und Erbe erscheint 1118 ein Diepold III.,
der 1118 als marchio de Napurch und 1140 marchio de Cambe bezeugt ist.
Unterdessen waren die beiden Marken zu erblichen Reichslehen dieser
Diepoldinger geworden. Es ist bekannt, daß der erste Stauferkönig Konrad
III. beim Tode des genannten Diepold 1146 das Egerland einzog, das
schon im 11. Jahrhundert an die Mark Nabburg angeschlossen gewesen zu
sein scheint; dieses alte "Egerland" ist also identisch mit der
nördlichen Oberpfalz und dem südlichen Oberfranken. Auch dieser Landname
ist erst später ostwärts nach Böhmen gewandert und wurde dort die
Bezeichnung für das größere Umland der staufischen Reichsburg Eger.
Trotz der Bestellung edelfreier Markgrafen waren die engen Beziehungen
des Königs zu Markgut und Markministerialität in Cham, Nabburg und
Egerland nicht unterbrochen. Um den genauen Umfang der salischen Marken
Cham und Nabburg zu ermitteln, müßten wir die belegten
Königsgutsbezirke, die Ministerialenburgen und die Pfarreiorganisation
feststellen. Bei Cham wird wohl der Umkreis der alten Mark Cham
zusammenfallen mit der Ausdehnung des alten Dekanates Cham. Als diese
Gebiete zwischen 1180 beim Ankauf der Bamberger Vogteilehen der Grafen
von Sulzbach auf dem Nordgau bei ihrem Aussterben und 1268 beim Übergang
des staufischen Nordgaus an die Wittelsbacher in die Hände der
letzteren gekommen waren, wurden sie im Bayerischen Herzogsurbar von
1280 auf den in Ober und Niederbayern geteilten wittelsbachischen
Landesstaat aufgeteilt und politisch-administrativ auseinandergerissen.
Nittenau, Wetterfeld, Roding, Miltach, Eschlkam, Waldmünchen wurden als
Amtssitze im Urbar von Niederbayern aufgezählt; 1326 gehörten Wetterfeld
mit dem Markt Nittenau, Roding, Neunburg, Nabburg, Obermurach und
Oberviechtach zum Viztumamt (Burg-)Lengenfeld, dagegen die Landgerichte
Cham, Waldmünchen, Eschlkam, Schneeberg und Pfreimd zum Viztumamt
Straubing. Im Laufe des 13. Jahrhunderts ist als Folge der
Territorialstaatsentwicklung, die die Wittelsbacher auf den Nordgau
brachte, das alte königliche Markensystem aufgesplittert und
umorganisiert worden.
Dies aber ist besonders an der Mark Nabburg
zu zeigen. Diese wurde erstmals zu 1040 in einer Fälschung des Klosters
Michelfeld oder des Bistums Bamberg erwähnt. Sollte sich der hier
genannte Ortsname Pillungesriut auf Pullenried bei Nabburg beziehen,
dann ist seine geographische Bezeichnung zu beachten; denn dieser Ort
liegt "in pago Norgouue in comitatu Ottonis comitis et in marca, quae
vocatur Nabburg". Demzufolge war damals die Mark Nabburg noch keine
selbständige Einheit, sondern Teil der Grafschaft Ottos. Nabburg selber
war die zentrale Reichsburg dieses Gebietes. Selbständig wurde diese
Mark erst nach dem Tode des babenbergischen Markgrafen Otto von
Schweinfurt, der damals auch Herzog in Schwaben war, sowie seines Erben
und Nachfolgers, des Heinrich von Hildrizhausen. Das alles geschah unter
König Heinrich IV., der auch diese Mark den Diepoldingern übertrug.
Wenn wir auch über die Mark Nabburg nicht so viel wissen, wie über die
Mark Cham, so ist doch sicher, daß auch sie militärisch organisiert war.
Nabburg beherrschte den Übergang einer auch später noch wichtigen
Straße von Amberg nach Böhmen; es erscheint aber auch als starkes
militärisches Kraftzentrum gegen das nördliche, damals noch kaum
erschlossene Egerland. Aber Nabburg lag gegen Osten und Norden sehr weit
im Hinterland; es muß also vor allem Auffang- und Ausgangsstellung
gewesen sein. Das Land zwischen dieser Reichsburg und dem böhmischen
Grenzland war sehr dünn besiedelt. In diese Burg hatte sich 929 König
Heinrich I. mit dem bayerischen Herzog Arnulf zurückgezogen; daraus läßt
sich der Reichsburgcharakter der Naabveste erschließen. Hier war wie in
Cham eine Münzstatte. Der größere Raum von Nabburg trat erst durch die
reichen Landschenkungen König Heinrichs II. an das neugegründete
Reichsbistum Bamberg in das Licht der Geschichte.
Aus einer
Urkunde von 1061, durch die der König an den bedeutenden
Königsministerialen Otnand aus der Forchheimer Gegend einen Wald
zwischen Schür- oder Höllbach, Krummenaab, Trebnitzbach und der Straße
von Eger "im Nordgau und in der Mark Nabburg" schenkte, können wir
erschließen, daß der Südrand des Gebietes, den wir dann als provincia
Egrensis und als staufisches Reichsterritorium Egerland kennen, hinauf
bis Marktredwitz und noch weiter zur Mark Nabburg gehörte. Deren
Hauptstoßrichtung und Ausbreitungsgebiet war der Norden. In diese
Richtung zielte im 12. Jahrhundert der Landesausbau der Diepoldinger
Markgrafen und ihr territorialstaatlicher Aufbau. Ihre nordwärts
gerichtete Politik wurde durch den Staufer Konrad III. jäh unterbrochen;
man holte aus der Mark Cham Ministerialen und setzte sie an der Naab
und im alten Egerland als Mark- und dann Reichsministerialen zu
Rodungsaufgaben und Herrschaftsorganisation ein. Die Machtbasis der
Diepoldinger um Nabburg selbst war sehr schmal, da ein fester Ring von
Burgen der Grafen von Sulzbach und anderer Edelfreien die Reichsburg
umklammerte: Parkstein, Hohenburg an der Lauterach, Thurndorf, Murach,
Flossenbürg. Die regio Egire erscheint 1135 erstmals als
Verwaltungsgebiet. Die Grafen von Sulzbach, die Tirschenreuth besaßen,
rodeten im Egerland. Weitere Rivalen waren die edelfreien Herren von
Hopfenohe und Waldeck, deren Erben die späteren Landgrafen von
Leuchtenberg wurden. Als Schwager der Hopfenohe-Lengenfeld-Pettendorf
schoben sich südlich Nabburg die Wittelsbacher vor. Südöstlich der
Reichsburg und östlich davon saßen in Altendorf die Grafen von Stirn und
Ettenstatt aus der Rezatgegend; zu Schwandorf und östlich davon saßen
die Grafen von Hohenburg. Nahe Rötz aber lag die Stammveste der
Haderiche (= die Schwarzenburg), die in der ebenfalls von der von
Heinrich III. gegründeten marchia Boemiae, um das dortige Retz (= ein
zweites Rötz) reichbegütert waren; sicher waren sie Verwandte der
Diepoldinger. Man müßte die genealogisch-besitzgeschichtlichen
Verbindungen der genannten Geschlechter näher untersuchen, um so
sicherere Aufschlüsse über Besitz- und Herrschaftsverhältnisse gerade im
Raum um Nabburg und östlich davon zu erhalten. Das· historische Dunkel
über unserer Oberpfalz würde sich weiter lichten.
Die Mark Nabburg
lehnt sich an die Mark Cham an; es fällt nur der Raum um Schwandorf
aus. Vermutlich fällt die marchia Nappurg zusammen mit dem Umfang des
alten Dekanates Altendorf, dessen Urpfarrkirche zweifellos Perschen am
linken Naabufer gegenüber Nabburg war. Grenzorte waren Seebarn, Rötz,
Tiefenbach, Schwarzach, Eslarn, Waidhaus, Lennesrieth, Floß, Ilsenbach,
Wurz, Altenstadt, Neunkirchen, Kohlberg, Neunaigen, Saltendorf und
Schwarzenfeld. Die Nordgrenze ist deshalb nicht mehr auszumachen, weil
sich das staufische Reichsland Eger gegen Süden abgeschlossen hatte und
sich im Gefolge davon zwei neue Dekanate Thumbach und Beidl gebildet
hatten. Vermutlich war die Nordgrenze der Mark Nabburg sehr lange offen.
Der schmalen Machtbasis der Diepoldinger in diesem Südraum entspricht
die geringe Westerstreckung des Dekanates Altendorf, dessen Sitz später
Nabburg wurde. Östlich der Naab erstreckt sich ein großer Gürtel von
ried-Orten, in denen wir Zeugen eines hochmittelalterlichen
Landesausbaus zu sehen haben. Es bedarf hier noch intensiver
Einzelforschung, um die Kirchen-, Herrschafts- und Siedlungsgeschichte
dieses Raumes zu erhellen. Wir können hoffen, daß die Atlasforschung der
Kommission für Bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie
der Wissenschaften sehr bald einen wesentlichen Teil dieser Arbeit
leisten wird. Jedenfalls hat Archivdirektor Dr. Heribert Sturm einen
Löwenanteil daran, der bislang die beiden Atlasbände Tirschenreuth und
Kemnath schon erarbeitet und nun einen dritten Band übernommen hat, der
den Raum um Weiden analysiert. Nach Westen wurde ein weiteres Ausgreifen
der Mark Nabburg und der Diepoldinger versperrt durch die umfangreichen
Vogteilehen der Bamberger Reichskirche auf dem Nordgau, die einen
großen Teil der nordwestlichen Oberpfalz umfaßten. Außerdem war hier die
Einflußzone der mächtigen Grafen von Sulzbach und Kastl-Habsberg. Im
Umkreis von Nabburg und in der mittleren und westlichen Oberpfalz
stellen wie eine starke eigenherrschaftliche Politik des Dynastenadels
und seiner Geschlechter fest, die sich an der "Nordgauverschwörung"
gegen den alten Kaiser Heinrich IV. beteiligt haben und so ihre
Interessen kundtaten.
Der Raum um Nabburg büßte seine zentrale
Stellung im Nordgau ein, als nach der Entlassung der Diepoldinger durch
Konrad III. die Staufer, besonders Barbarossa, begannen, in direkter
Verknüpfung mit der terra imperii = dem Reichsland um Nürnberg auch eine
terra imperii vor der Reichsburg Eger zunachst in der frühesten
provincia Egire aufzubauen. So wurde dieses Gebiet fest eingegliedert in
die große Reichslandkonzeption der Staufer, deren Ziel der Aufbau eines
königlichen Territorialstaates in Süd- und Mitteldeutschland war. Diese
Politik war großflächig gedacht, sie erfaßte den größten Teil des
heutigen Mittel- und Oberfranken und der Oberpfalz, sie griff über das
Vogtland hinaus in den sächsischen Pleissengau, wo die Reichsburg
Altenburg wieder ein starkes Zentrum königlicher Herrschaft wurde. Ich
möchte hervorheben, daß diese großzügige Reichslandpolitik vor allem
dort möglich war, wo es große Wald und Forstgebiete gab und wo die
königlichen Dienstmannen und Reichsministerialen Rodungen anlegten und
so den Aufbau der Königsherrschaft vorantreiben konnten, weil dort kein
adelig-kirchliches Streben nach gleicher Territorialität ihnen
entgegenstand. An dem großen Rodungswerk beteiligte sich im frühen und
späten Egerland auch das unter staufischer Reichsvogtei stehende
Zisterzienserkloster Waldsassen, das die Diepoldinger ebenso gestiftet
haben wie sie auch Gründer des Benediktinerklosters Reichenbach am Regen
waren; das vierte bedeutende Adelskloster in der Oberpfalz gründeten
gegenüber Reichenbach am rechten Regenufer in Walderbach die Burggrafen
von Regensburg aus dem Hause der Pabonen. Aus dem Anfang des 12.
Jahrhunderts stammt das auch noch heute in seiner Burgstruktur imposante
Kloster Kastl über der Lauterach der Grafen von Kastl, Sulzbach und
Habsberg. Die Stauferkaiser konnten ein von den Saliern begonnenes
staatspolitisches und kulturschöpferisches Werk im ganzen Raum der
heutigen Oberpfalz fortsetzen, in dem schon der letzte Sachsenkaiser
Heinrich II. dem von ihm gegründeten Reichsbistum Bamberg (1007) die
Vogteiherrschaft über große Waldgebiete um die obere Pegnitz, die Vils
und den Regen (um Nittenau) schenkte. Diese Vogteiherrschaft kam im 12.
Jahrhundert an das mächtige Grafengeschlecht von Sulzbach, das mit den
Kastl-Habsbergern verwandt war und sich mit ihnen zur Gründung des
Klosters Kastl zusammentat; dieses Kloster aber lag am Ostrande des
Urnordgaus nahe Lauterhofen. Dem Geschlecht der Sulzbacher aber
entstammte die Gemahlin Gertrud des ersten Stauferkönigs Konrad III.,
und ihre Schwester war Gemahlin des byzantinischen Kaisers Manuel
Komnenos.
Nach der staufischen Reichslandkonzeption sollte der
Nordgau = das Land der mittleren und nördlichen Oberpfalz eingespannt
sein in ein System, dessen stärkste Flanken Nürnberg und Regensburg
darstellten. Von Regensburg aus, wo sie seit dem Aussterben der Pabonen
am Ende des 12. Jahrhunderts kaiserliche Burggrafen waren, schoben sich
seit dieser Zeit nach Norden die Wittelsbacher vor, die 1180
Territorialherzöge in Bayern geworden waren. Sie faßten Fuß im
Mündungsgebiet der beiden größten Flüsse der Oberpfalz Naab und Regen
und wurden beim Aussterben des staufischen Kaisergeschlechts 1268 dessen
Haupterben auf dem bayerischen Nordgau in der heutigen Oberpfalz, wie
sie erst seit dem 15. Jahrhundert im Gegensatz zur Niederen Pfalz am
Rhein genannt wurde. Barbarossa hatte eine Reihe von Gründen, dieses
Gebiet so stark zu einer terra imperii auszubauen. Vor allem wollte er
hier ein tragfähiges Glied seiner ganz Süddeutschland bis Hessen
überlagernden Reichslandpolitik verankern. Der Nordgau war zudem ein
Brückenkopf für eine intensive Einflußnahme auf Böhmen, das durch seine
Edelmetallvorkommen wirtschaftlich ein reiches Land war. Sicher
organisierte er dieses Grenzland herrschaftlich auch wegen seines
wirtschaftlichen Eigenwertes, konkret wegen seiner Eisenvorkommen und
Eisenverarbeitung, die im 12. Jahrhundert auch urkundlich greifbar wird.
Bald wurden Amberg und Sulzbach zentrale Orte der spätmittelalterlichen
Eisenproduktion, und Nürnberg, das zu einem Hauptzentrum der
Waffenproduktion wurde, beschaffte sich Eisen und Stahl aus der
Oberpfalz. Hammermühlen und Hammerschlößchen sind ein Charakteristikum
des Wirtschafts- und Kulturraumes der mittleren und nördlichen Oberpfalz
geworden. Außerdem gab es auf dem Nordgau, den ich den jüngeren oder
zweiten Nordgau nennen möchte, noch so viel jungfräulichen Boden, daß
sich hier leicht durch eigene Kolonisation und Rodefähigkeit ein
herrschaftlich straff gelenktes königliches Territorium aufbauen ließ,
das nicht direkt unter der zerstörenden Rivalität mit dem zu gleicher
Territorialität aufsteigenden Adel stand. Man kann wohl sagen, daB der
Nordgau seine politisch größte Zeit in der Epoche der Salier und Staufer
und im späteren Mittela!ter unter Karl IV. hatte. Nach dem Untergang
des großen deutschen Kaisergeschlechts erst wurde der Nordgau im ganzen
Objekt und Teil der Territorialpolitik und des ausgreifenden
Territorialstaates der Wittelsbacher, die 1180 Bayern als
Reichsfahnlehen übertragen erhielten. Die relative Geschlossenheit ihrer
Herrschaft auf dem Nordgau, das Freisein von rivalisierenden
Hochadelsgeschlechtern und zu gleicher Territorialitat strebenden
geistlichen Hochstifter war auf diesem Rodungsboden ein Erbe der
Staufer. Daß der Nordgau fiir den wittelsbachischen Kernstaat primär
aber keine Bedeutung hatte, ergibt sich daraus, daß Kaiser Ludwig der
Bayer 1329 beim Abschluß des Hausvertrages von Pavia dieses Gebiet an
die pfälzische Linie seines Haus abtrat und somit wieder fiir weitere
drei Jahrhunderte aus dem altbayerischen Herrschaftsverband und
Landesstaat ausklammerte.
Abschließend kann man sagen, daß unsere
Oberpfalz eine karolingisch-ottonische und eine salisch-staufische
Vergangenheit im Mittelalter hatte und daß in ihrer Geschichte
babenbergische, diepoldingische, sulzbachische und wittelsbachische
Adels- und bambergische Hochstiftstraditionen wirksam waren. Die
Oberpfalz hat ein romanisches und gotisches Gesicht, sie ist vor allem
eine romanische und gotische, keine barocke Kultur und Kunstlandschaft.
Der Dientzenhoferbau von Waldsassen vermag dies nicht zu vertuschen. Die
Oberpfalz hat ein eigenes Wesen und eine eigene Identität, die nicht in
der bayerischen Geschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit
einfach aufgeht. Auf ihre reichische Geschichte sollte die Oberpfalz
stolz sein und es nicht den Österreichern und Württembergern überlassen,
ein babenbergisches und ein staufisches Jahrtausendjubiläum zu feiern.
Die Oberpfälzer sollten ihre Reichsgeschichte und ihren Eigenwert
umsoweniger vergessen, als sie noch große Architekturzeugen dieser
Vergangenheit vor sich haben in der romanischen Klosterkirche und
Klosterburg von Kastl, in der romanisch-gotischen Klosterkirche von
Chammünster, in der spätromanischen Zisterzienserkirche von Walderbach,
in der romanischen Architektur von Reichenbach und last not least in der
Kirche von Perschen. Am Rande verweise ich nur auf die beiden großen
gotischen Hallenkirchen in Amberg oder auch an den gotischen Chor der
Stadtpfarrkirche von Cham. Die Oberpfalz ist seit salisch-staufischer
Zeit ein großes Burgenland, deren Ruinen überall den Wanderer grüßen;
ich nenne nur die Ruinen von Flossenbürg, Leuchtenberg, Runding,
Haidstein vor vielen anderen. Die Oberpfalz konnte keine
Barocklandschaft werden, wie die klosterreichen Altbayern und Österreich
erst geworden sind. Der alte Nordgau und die Oberpfalz sind heute
staatlich und geistig tief verwurzelt im alten bayerischen und
stammesbayerischen Raum; aber sie haben ihre eigene Vergangenheit und
ein eigenes historisches Profil, sie haben ein Recht darauf, auch ein
eigenes historisches und politisches Selbstbewußtsein zu artikulieren
und durchzusetzen. Das ist wohl der konkrete Sinn der Nordgautage, die
es nicht versäumen dürfen, in das altbayerische Wesen oberpfälzischer
Art auch das Egerland kräftig mit einzubeziehen.
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Studien des Verfassers zur oberpfälzischen Geschichte:
1)
Das Nordgaukloster Kastl. Gründung, Gründer, Wirtschafts- und
Geistesgeschichte, in Verh. d. Hist. Vereins v. Obpf. 89 (1939) 3-189 ( =
Münchener Dissertation).
2) Die Sozialstruktur der mittelalterlichen Residenz- und Fernhandelsstadt Regensburg. Die
Entwicklung ihres Bürgertums vom 9.-14. Jh. = Abhandlungen d. Bay. Ak. d. Wissenschaften. Phil.-Hist. Klasse NF 63 ( 1966).
3) Bayerische Geschichte. 4. Aufl. 1975/6.
4) Die Reichsministerialität als Träger staufischer Staatspolitik in Ostfranken und auf dem
bayerischen Nordgau, in Jahresber. d. Hist. Vereins von Mittelfranken 69 ( 1941) 1-105.
5)
Die Markengründungen Kaiser Heinrich III. auf
bayerisch-österreichischem Boden, in Zs. f. Bay. Landesgeschichte 14 (
1943/4) 177-247 und in K. Bos! (Hgb.), Zur Geschichte der Bayern
364-442.
6) Die Entwicklung in Ostbayern bis zur Eingliederung in den wittelsbachischen Landesstaat, in Das Bayerland 55 ( 1953) 284-288.
7)
Der Eintritt Böhmens und Mährens in den westlichen Kulturkreis im
Lichte der Missionsgeschichte, in Böhmen und Bayern, Veröffentl. des
Collcgium Carolinum I (1958) 43-64.
8) Probleme der Reichsgutforschung in Mittel- und Süddeutschland, in Jb. f. fränkische Landesforschung 20 (1960) 305-325.
9) Kulturstrome und Kulturleistungen der bayerischen Oberpfalz. In 125 Jahre Regierungsbezirk Oberpfalz (1963) 31-50.
10)
Das kurpfälzische Territorium "Obere Pfalz", in Zs. f. Bay.
Landesgesch. 25 (1963) 3-28 und in Die Oberpfalz 53 (1965) 1-4, 25-27,
49-53, 73-75.
11) Die Geschichte eines Grenz- und Durchgangslandes
bis zum Niedergchen des Eisernen Vorhangs, in Das Bayerland 67 (1963)
198-207.
12) Pfalzen, Klöster, Forste in Bayern. Zur Organisation
von Herzogs- und Königsgut in Bayern, in Verh. d. Histor. Vereins von
Oberpfalz (1966) 41-56 ( = Festschrift f. H. Dachs).
13)
Dreihundert Jahre Entwicklung zur Reichsstadt ( 1050-1347), in G.
Pfeiffer (Hgb.), Nürnberg. Geschichte einer europäischen Stadt (1971) 1 1
-33.
14) Oberpfalz und Egerland im Spannungsfeld der
internationalen Politik. Vortrag anläßlich des 650. Jahrestages der
Verpfändung des Egerlandes am 7. Oktober 1972 in Amberg ( 1973).
15) Der deutsche und europäische Rang Regensburger Urbanität = Festrede zum Ärztetag 1973 in Regensburg.
16) Landschaftliche und gesellschaftliche Gegebenheiten, in Reismüller-Müller (Hgb.), Ingolstadt I (1974) 11-18.
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* Eröffnungsvortrag des Verfassers zum 21. Bayerischen-Nordgautag in Nabburg, am 27. Mai 1976 in der Aula des Gymnasiums.