Donnerstag, 27. April 2017

Mittelalterliche Justiz in Rötz

Von Johann Paulus

Wo früher der Galgen stand, auf dem Galgenberg südlich von Rötz, bestellen heute Rötzer Landwirte die Felder. Das Gelände ist noch so ziemlich im Eigentum der Stadt und am Fuße des Hügels gegen Norden zu liegt die große Sandgrube, die heute Sand für Rötz und die ganze Umgebung liefert. Die ältere Generation von uns erinnert sich, daß die Überreste des Galgens noch um die Jahrhundertwende zu sehen waren. Das Gelände bis zur Gemeindegrenze nach Alletsried und Bernried und bis zur Stadt stand im Eigentum der Stadt Rötz.

Viel Blut und viele Abscheulichkeiten mußte der Galgenberg durch die Eigenarten der mittelalterlichen Justiz sehen und erleben. Auf ihm befand sich das Hochgericht oder der Galgen, der aus vier gemauerten Säulen bestand, auf denen eichene Querbalken ruhten. Die Strafe des Hängens galt als einer der abscheulichsten, wohl schon deshalb, weil man manchmal die Gehängten am Galgen verwesen ließ, den Vorübergehenden zum Schrecken und Mahnung, den Raben zur Freude. Der unheimliche Schauder, der die Galgenstätte auf die Bevölkerung der ganzen Umgebung ausübte, kam insbesondere dadurch zum Ausdruck, daß für Neuherstellung oder notwendig gewordene Reparatur des Hochgerichts kein Handwerksmann sich gebrauchen lassen wollte. Es wurden deshalb zu solchen Arbeiten immer die ganzen Handwerkszünfte zwangsweise aufgeboten. In Rötz kam dieser Fall im Jahre 1679 vor. Zur Erneuerung des Gebälks wurden sämtliche im Amt Rötz vorhandenen Zimmerleute, 34 an der Zahl, zusammengerufen.

Der Maurermeister Wagner besorgte mit sämtlichen Gesellen den Abbruch des alten und die Aufführung des neuen Mauerwerks. Die Kosten von 45 Gulden wurden aus der Pflegeamtskasse bestritten. Auf dem Galgenberge fanden ursprünglich auch die Hinrichtungen durch das Schwert statt, während sie später auf dem Marktplatz vollzogen wurden. Nachweislich wurden in Rötz von 1589 bis 1700 sieben Verbrecher hingerichtet, darunter sechs mit dem Schwert und einer durch den Strang und zwar: Max Schottenhammel am 22. Dezember 1589 wegen Diebstahls durch das Schwert; Georg Merl am 2. Mai 1595 wegen Mordes durch das Schwert;  Magdalena Zierer am 7. Oktober 1604 wegen Kindstötung durch das Schwert; Hans Stangl am 28. September 1627 wegen „zwiefacher Ehe“ durch das Schwert; Wolfgang Mühlbauer 1676 wegen Notzucht durch das Schwert; Magdalena Kulzer wegen zweimaligen Kindsmordes durch das Schwert am 20. Dezember 1690; Christoph Reith am 4. Juli 1700 wegen Diebstahls durch den Strang.

Der Vollzug dieser Todesstrafen oblag dem Scharfrichter zu Amberg. Bis zum 16. Jahrhundert ist in Rötz selbst ein Scharfrichter gesessen. Ein tragisches Ende nahm der Dieb Max Schottenhammel, der die Qualen der Todesstrafe zweimal empfinden mußte. Seine Hinrichtung war auf den 17. Oktober 1589 bestimmt. Schottenhammel war auf seinen letzten Gang vorbereitet, auch der Scharfrichter war bereit, seines Amtes zu walten. Da aber der Ankläger nicht erschien, konnte die Todesstrafe nicht vollzogen werden, weshalb die Hinrichtung auf den 30. Oktober verschoben wurde. Die Exekution nahm diesmal ihren Gang und der Verurteilte hing bereits mit dem Tode ringend am Galgen, als die junge Magd Maria Thonstein den Mut faßte, den armen Sünder vom Stricke abzuschneiden. Dieser wurde nun bis auf weiteren Bescheid wieder ins Gefängnis verbracht, wo er sich nach einiger Zeit wieder erholte. Eine Begnadigung wurde ihm jedoch nicht zuteil, sondern er wurde auf Grund nochmaliger Verurteilung am 22. Dezember 1589 durch das Schwert hingerichtet.

 Die im Jahre 1690 wegen zweifachen Kindesmordes zum Tode verurteilte Magdalena Kulzer erhielt vor der Hinrichtung durch das Schwert einen „Zwick mit einer glühenden Zange“. Die breite Zange mit großen Greifern wurde eigens angefertigt, wozu das ganze Schmiedehandwerk in Rötz aufgeboten wurde. Nach der Pflegeamtsrechnung vom Jahre 1589 wurden bei der Hinrichtung Schottenhammels folgende Ausgaben gemachte: 5 fl einem Tagewerker von Rötz, Mathesen Bosl, der Schottenhammel drei Monate lang Tag und Nacht bewachen mußte. 19 fl zwei Schilling dem Amtsknecht Michl Pern für 19 Wochen „Atzgeld“; 1 fl etlichen Amtsuntertanen ,“zu vertrinkhen geben, als gedachter Schottenhammel zu verhaft  gebracht“; 2 fl 1 Schilling „dem richter und ambtknecht alten Gebrauch nachsolichen gefanglich einzunehmen“; 1 fl 2 Schilling vor der Schranne aufzuschlagen und wieder abzubrechen; 1 Schilling 22 1/2 Pfg. zu geben für den toten Körper von der Richtstatt zu nehmen und zum Friedhof zu tragen; 1 fl für fünf Maß Wein, welche von den Weißbäckern zu Rötz an den zwei Richttagen genommen wurden; 2 Schilling den Totengräbern für das Grabmachen. Der Scharfrichter erhielt 9 fl.

Zur Aburteilung der übrigen strafbaren Handlungen der Amtsuntertanen zu Rötz, die entweder eine geringere Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe zur Folge hatten, war das Pflegegericht zuständig. Das Richteramt in diesem Sinne war nicht besonders schwierig und wurde, wenn nicht der Pfleger selbst diese Funktion mit versah, auch nur mit Leuten aus dem Bürgerstande versehen. 1408 war Ulrich Prucker Richter zu Rötz. Im Jahre 1626 bewarb sich Georg Fröhlich, Bürger von Leuchtenberg um die Richterstelle in Rötz. Als er aber vernahm, daß er außer der Kost bei dem Pfleger nichts weiter als 20 fl jährlich Besoldung von diesem erhalten werde, bat er die Regierung, weil er „mit Weib und Kindern behafft und ihm die gemelte geringe Bestallung anzunemmen underthennigst schwer fallen“ würde, ihn vom Antritte seines Dienstes zu entheben.

Diese Zustände in der Rechtspflege dauerten noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts.  Mit dem Beginn einer humaneren Zeitrichtung hat man zunächst jene barbarischen Maßnahmen fallen lassen und die Tortur abgeschafft. Nach Aufhebung des Pflegeamts und nachmaligen Landgerichts Rötz wurden Todesurteile daselbst nicht mehr vollzogen, und das alte Hochgericht auf dem Galgenberg zerfiel.